Die Sonne knallt vom Himmel, die Luft steht. Das einzige was zu hören ist, ist das Knacken der wenigen Pflanzen, die der Wüste trotzen. Es herrschen mindestens 40° Grad und ich träume wahrscheinlich aufgrund der Hitze, denn vor uns befindet sich etwas undefinierbares: Ein blau-schwarzer Streifen, der vom nördlichen zum südlichen Horizont reicht, dazu glatt wie eine frisch polierte Eisbahn, komische Streifen an der Seite und in der Mitte. Ab und zu saust mit einer unglaublichen Geschwindigkeit ein meist großes ab und zu auch kleines „Ding“ von rechts und links vorbei und wirbelt uns den Wüstensand um die Ohren. Was ist das?
Nein, alles Blödsinn. Die Sonne hat zwar freie Bahn aber die Temperaturen sind angenehm und es weht ein erfrischender kühler Wind. Dennoch erscheint uns die Straße „M32“ im allerbesten Zustand auf die wir jetzt einbiegen können wie eine Halluzination. Nachdem wir für die knapp 329 km von der russisch-kasachischen Grenze hinter Astrachan bis nach Atyrau auf der „A27“ mit einer atemberaubenden Durchschnittsgeschwindigkeit von 23 km/h zwei Tage benötigt hatten, dachten wir, dass wir für die Reise alles an schlechten „Straßen“ in Kasachstan hinter uns haben würden, was Kasachstan zu bieten hat. Schließlich sagten uns damals zwei Österreicher auf der Reise zum Baikalsee und in die Mongolei: „Kasachstan ist wie die Mongolei, nur mit super Straßen!“ Naiv, wählte ich für die Weiterfahrt in Richtung Süd-Westen zum Aralsee eine Route auf der Karte aus, die unser Navi nicht kannte aber uns rund 750 km Umweg sparen würde. Auch Lukas war der Meinung, selbst wenn die „Straße“ so bescheiden wie die letzte wird, das lohnt sich.
Es kam, wie es kommen musste! Die „A27“ ab Maqat über Shubarqudyq sowie die „A26“ von Qandyaghash über Shalqar waren teilweise in einem noch schlimmeren Zustand. Scharfe Kanten in die das Fahrzeug bei zu hoher Geschwindigkeit reinknallte, quer verlaufende Rillen über dutzende Kilometer und das gemischt mit stellenweise guter Fahrbahn die aus heiterem Himmel in kratertiefe Löcher endet. Wenn wir Glück hatten, verlief direkt neben der Straße oder ein paar hundert Meter parallel dazu eine oder mehrere Pisten, in denen das Fahren dank Sand etwas erträglicher war. Nicht nur Ich als Beifahrer, sondern auch Binti war ob diesem Zustand schnell überdrüssig, Lukas sowieso. Lisanne war das geruckelt und schaukeln eigentlich egal. Nur da wir länger am Tag gefahren sind, um wenigstens etwas zu schaffen, war sie Abends etwas mäkelig. Verständlich.
Anmerkung: Wir haben überhaupt nichts gegen schönes Off-Road. Dafür hat Lukas ja auch einen Unimog mit ordentlich Bodenfreiheit gewählt. Aber für die scharfen Kanten der Asphaltlöcher waren wir einfach zu schwer und das knallt dann immer richtig!
Die Menschen unterwegs waren sehr freundlich, bestätigten köpfschüttelnd die grauenvolle Straße und zeigten uns, nachdem wir uns als deutsche geoutet hatten, ihre meist nur aus zwei Worten bestehenden Deutschkenntnisse und zwar „Hitler kaputt!“.
Bei einer Familie in einem kleinen Dorf konnten wir Wasser tanken. Da der Wasserdruck in so Dörfern oft sehr niedrig ist und wir einen großen Tank haben, ergeben sich beim langen Warten immer schöne Situationen. Es wurden Fotos gemacht, sie schenkten uns in Fett gebackene Teiglinge, ein Nationalgericht das an den Feiertagen gereicht wird, und ich druckte ihnen die gerade gemachten Gruppenfotos auf unserem kleinen mobilen Drucker aus über die sie sich sehr freuten.
Das sehr langsame Vorwärtskommen hat aber auch sein Gutes, denn es bleibt viel Zeit für die Landschaft. Zum Einen grasten Kamele, die irgendwie immer freundlich wirken, und Kühe sowie Ziegen in der Steppenlandschaft zum Anderen drehten immer mal wieder bis zu einem ein halben Dutzend Steinadler mit einer Flügelspannweite von bis zu 2,5 m, gleichzeitig ihre Kreise über uns oder saßen am Straßenrand, wahrscheinlich in der Hoffnung ein Erdmännchen oder erdmännchenähnliches Tier zu ergattern. Eine Schildkröte lief mitten über die Straße, da haben wir sie schnell in Sicherheit gebracht und hinter der Straße wieder abgesetzt.Auf einem Streckenabschnitt befanden sich überall kugelrunde Steine.
Trotz all der schönen Natur waren wir aber froh dann endlich auf die „M32“ gestoßen zu sein, die sich als die perfekte Straße herausstellte, die uns prophezeit wurde. Dennoch hatte es tatsächlich etwas von einer Fata Morgana, die am Horizont auftauchte und drohte kurz bevor man Auffährt wieder in einem hüfttiefen Krater zu verschwinden. Doch die restlichen 200 km auf dieser super Straße flogen nur so dahin und wir waren schnell in Aral.
Hinweis an andere Reisende!
Wenn ihr diese Strecke plant und zufällig unseren Blog lest, nehmt wirklich die großen Straßen „A28“ von Atyrau bis Oral und die „A32“ ab Oral über Aktobe nach Aral. Internetberichten zufolge, die ich diesbezüglich gelesen habe, sind dies permanent super Straßen! Die von uns genommene Straße wird zwar teilweise in Ordnung gebracht und geplant ist das gesamte Stück zu erneuern, allerdings sind wir über einen neuen Streckenabschnitt von Herbst 2017 gefahren, wo schon Markierung nicht mehr erkennbar waren und auch bereits wieder erste kraterähnliche Löcher entstanden sind. Und das in weniger als einem Jahr!
Tja die Stadt Aral und damit der Aralsee. Ein schwieriges Thema. Während ich diesen Beitrag schreibe, sitze ich circa 100 km südlich vom Kosmodrom Baikonur am Syrdarja ein Fluss der neben dem Amu Darja durch gewaltigen Niederschläge angeschwollen aus Kirgistan und Tadschikistan kommend den Aralsee speist. Die Aussicht auf den Fluss ist idyllisch, keine Spur von einer der größten menschengemachten Umweltkatastrophen, die am Aralsee geschehen ist und von der sowohl der Syrdarja als auch der Amu Darja Zeuge sowie Leittragende sind.
Der Aralsee war einst der viertgrößte See der Erde im Norden in Kasachstan und im Süden in Usbekistan gelegen. Die ausgedehnten Auenwälder und Schilfgebiete im Flussdelta des Syrdarja und Amu Darja sind jedoch genau wie 90 % der Seefläche mittlerweile Geschichte.
Während der Zeit der Sowjetunion und der Stalinära wurde das Land rund um den Aralsee unter anderem zum Anbau der sehr wasserintensiven Baumwolle genutzt, später wurden zudem Chemiewaffen getestet. Die Folge: die Bewässerungssysteme für die Landwirtschaft, Pestizide, Chemikalien und Verdunstung führten zu einem extremen Wasserrückgang von allein 20 – 90 cm pro Jahr ab 1961! Der Salzgehalt stieg extrem an, sodass keiner der 35 Fischarten mehr in dem Gewässer überleben konnten. Die Fischerei musste aufgeben werden. Das Klima im speziellen in der Region mit sehr heißen Sommern und sehr kalten Wintern aber auch in ganz Zentralasien hat sich durch den Verlust der Wasserfläche stark verändert, dazu kommen Salzwinde, die über das Land ziehen und über hunderte von Kilometern die Erde versalzen und unwirtschaftlich machen. Ein Damm von Kasachstan im Süden des nördlichen Überbleibsels des Aralsees gelegen, soll den nördlichen Teil des Sees retten, ein Todesurteil für den südlich Teil in Usbekistan. Die Befürworter sind jedoch der Meinung der südliche Teil, sei nicht zu retten daher wäre dieser Verlust das geringere Übel, wenn wenigstes der nördliche Teil etwas erhalten bleiben kann. Was korrekt ist, vermag ich nicht zu sagen, doch konnte der Wasserspiegel des nördlichen Teil stabilisiert werden und auch der Salzgehalt hat sich auf 10 g / l reduziert. Im südlichen Teil ist der Salzgehalt teilweise 6,5 mal so hoch! Die Stadt Aral liegt jetzt nur noch 12 km statt zwischenzeitlich hundert Kilometer vom jetzigen Aralsee entfernt. Dazwischen der Aralkum, die entstandene Salzwüste. Das einmal Fährverbindungen zwischen Norden und Süden, wie 1960, existierten kann man sich dennoch nicht vorstellen.
Anfangs überlegte ich, ob es schäbig ist vom Schicksal des Aralsee und der Umweltkatastrophe fasziniert zu sein, kommt es doch Katastrophentourismus gleich. Doch mich interessierte, wie so eine Landschaft nach solch einer Veränderung aussieht, insbesondere da die Vorstellung aus der Ferne doch immer nur eher abstrakt ist. In Aral angekommen fiel zunächst die Verzierung des Ortseingangsbogen mit Fischen und Booten auf und kam mir einem Mahnmal gleich. Außerdem empfand ich die Menschen zum ersten Mal zum Teil als abweisend, unfreundlich und irgendwie grimmig. Später wurde mir klar, dass die natürlich genervt sind von Touristen, die sich die Katastrophe anschauen und die Einheimischen fühlen sich eventuell auch für Geschehen in der Vergangenheit verurteilt, für die sie nichts können. Wir fuhren aus der Stadt raus quasi über den Grund des Sees bzw. durch den Aralkum zum Dörfchen Zhalanash (Zhalangas oder Zhambyl). Dort sollte sich noch einer der bekannten Schiffsfriedhöfe befinden, wo Schiffe aufgrund des raschen Wasserverlustes und der aufgegeben Fischerei in der entstandenen Salzwüste vor den Fischerdörfern gestrandet sind. Wir suchten sehr lange, fragten auch mehrere Dorfbewohner aber fanden die Schiffe nicht. Nach intensiver Recherche gehe ich davon aus, dass die Schiffe nach und nach aufgrund des wertvollen Metalls demontiert und nach beispielsweise China verkauft wurden. 2013 wurde in einem Kommentar im Internet das erste mal beschrieben, dass die Schiffe teilweise demontiert werden und wohl deshalb nicht mehr lange erhalten bleiben werden, in einem Lonely Planet Reiseführer von vor 4 Jahren werden an dieser Stelle nur noch 3 der ehemals 6 Schiffe beschrieben, auf Bildern in diversen Blogs von vor zwei bis drei Jahren ist lediglich ein großes Schiff und ein paar Reste zu sehen. Falls jemand die Schiffe dennoch dort findet, bitte melden. (Anm. 19.05.2018: Der Schiffsfriedhof existiert nicht mehr! Andere europäische Touristen, die wir trafen, haben ebenfalls alles abgesucht.) Das interessiert mich. Denn der Verkauf des wertvollen Metallschrotts bestärkt mich in der Annahme, dass die Menschen hier dies nicht als Möglichkeit sehen der Welt über den Tourismus zu zeigen, was hier Schreckliches passiert ist, denn unsere Faszination ist für sie wahrscheinlich eher unverständlich oder abschreckend und ihr Leben geht nun mal weiter.
Es war natürlich seltsam über den ehemaligen Grund des Sees zu fahren, auszusteigen und den Boden, inmitten einer Wüste, voller Muscheln zu haben. Es fiel mir außerdem schwer mir anhand der ehemaligen Küste die gewaltigen Wassermassen vorzustellen. Mir hat die Landschaft dennoch sehr gut gefallen sowohl der Aralkum mit den Pflanzen die dem salzigen Boden trotzen als auch die jetzige Aralseeküste an der wir eine Nacht verbrachten. Auch scheint die Fischerei dank des sinkendem Salzgehalt zurückzukehren und wir konnten im Boden vergrabene Fischerhütten besichtigen.
Zurück in Aral fanden wir am Ortsteingang doch noch Reste eines Schiffes. Vielleicht wird dies als „Dekoration“ in der Stadt aufgestellt…
Auf usbekischer Seite am Aralsees in der alten Fischerstadt Moynag existiert noch ein sehr großer Schiffsfriedhof. Hier könnt ihr ein Video davon sehen.
Die Bilder von den rostenden, alten Schiffen am Grund des Sees der jetzt Wüste ist, war für mich das beste Motiv die Folgen der Katastrophe wirklich zu begreifen. Schade das wir keine gesehen haben. Denn bei einer kurzen Stippvisite sind die wirklichen dramatischen Folgen, wie beispielsweise die Klimaveränderungen oder Versalzung gar nicht wahrnehmbar. Es fehlt ja der Vergleich.
Von einem nachhaltigeren Leben im Einklang der Natur zu träumen, während man in einem Unimog sitzt der immer sehr großen „Durst“ hat, ist natürlich Paradox. Dennoch träume ich von diesem Leben und versuche es in kleinen Dingen umzusetzen. Der Besuch des Aralsees hat mich erneut darin bestärkt!
Nathi
Keine akademisch korrekten Quellen aber wenn jemand noch mehr nachlesen mag, ich habe meine kurze Zusammenfassung und das Bild zum Schwund des Aralsees unter anderem hieraus:
http://newsderwoche.de/welt/asien/524-kasachstan-schenkt-dem-aralsee-ein-neues-leben.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Syrdarja
https://www.focus.de/wissen/videos/verherrende-umweltkatastrophe-am-aralsee-der-ehemals-viertgroesste-see-der-welt-ist-nahezu-ausgetrocknet_id_4173883.html
https://www.reisetravel.eu/reise-travel-voyage/news/aralsee-ohne-wasser.html
Ach, über eine weitere Schildkröte hätte ich mich auch gefreut! ??
Eure Eindrücke sind sicher hier nur schwer nachzuempfinden. So was muss man live erleben….
immer weiter gute Reise von uns aus dem Westerwald ?
Boaw Nathi, da hast Du aber einen hoch interessanten Bericht geschrieben! Sehr verständlich und vor allem sehr berührend zu „erleben“, was diese ökologische Katastrophe mt den dort lebenden Menschen gemacht hat. Gegenwart sowie Zukunft ist für mehrere Generationen „verspielt“! Und wenn ich dann sehe, dass auf usbekischer Seite der Schiffsfriedhof mit einer gut begehbaren neuen Treppe zu erreichen ist, dann spricht doch auch das dafür, dass die dort lebenden Menschen den Rest der Welt auf eine wirkliche sichtbare Naturkatastrophe hinweisen wollen. –
Lukas hat den großen runden Stein in die Kamera gezeigt, sollte er damit das Geheimnis der legendären Kugeln aus Münchhausen’s Kanone gelüftet haben?– Allerdings hoffe ich nicht, dass es eine der Kugeln aus dem Kugelhaufenreaktor in Jülich ist, die ja auch nicht mehr alle aufzufinden sind! Auch das eine
radioaktive Katastrophe, die fast eben so lange zurückliegt!
Wunderbare fotografische Erinnerungen von Menschen und Tieren zeigt Ihr uns!
Ich hoffe, dass Ihr alle drei, Nathi, Lisanne, Lukas und Binti ok seid, herrlich wie Binti stoisch die Begegnung mit der Schildkröte über sich ergehen lässt! ! Ich wünsche Euch Gesundheit, eine gute Fahrt ohne Schlaglöcher sowie andere missliche Folgerungen !!!! Bussi an Euch, Ulla,Oma,Uri (Uhu)
Hi, das war ein sehr guter & informativer Beitrag. Wahnsinn, was ihr alles erlebt und wunderbar, dass es augenscheinlich recht gut läuft. Weiterhin ein gute Zeit.
L G & Bussi aus Moers, Maro & Stefan
??
Kazahstan,Semey?